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Gedanken über die Vor- und Nachteile eines Neuanfangs

Seppl und ich sind ein eingeschweißtes Team. Wir sind gemeinsam durch gute und schlechte Zeiten gefahren, mussten selten aufgrund unvorhergesehener Ereignisse stoppen und können miteinander gut umgehen.

Zu Seppl: Er wurde 2001 geboren, ist ein flotter Typ, sieht immer noch verdammt gut aus, war jedoch seit jeher ein „Silberrücken“. Er ist sehr nachsichtig und verzeiht mir meine wilden Richtungswechsel und auch, dass ich manchmal nicht so richtig „in die Gänge“ komme. Gemütlich wird er langsamer und gechillter, wenn ich ihm das sage. Manchmal muss ich zwar ordentlich Druck geben, aber dann weiß er auch, dass er jetzt stillstehen und warten muss. Es macht ihm nichts aus, dass er auch im Sommer zuweilen seine Winterstiefel tragen muss, weil ich schlichtweg zu faul zum Shoppen war. Einfach ein klasse Typ. Kennengelernt haben wir uns bereits 2006, zusammen sind wir seit 2008. Mein Vater hat uns einander vorgestellt, weil er einen neuen besten Kumpel gefunden hatte und Seppl nicht mehr haben wollte.

Seither hat mir mein Schatz die Last von den Schultern genommen und ich muss ehrlich sagen, dass ich keinem vor ihm so viel aufbürden konnte. Ein Partner fürs Leben.

Er trinkt im Vergleich zu anderen auch nicht so viel, möchte aber gerne öfter an der frischen Luft sein und mehr mit mir unternehmen, da das seiner Lunge gut tun würde. Naja, für lange Ausflüge finde ich nur selten die Muse und so muss er statt einem heißen Tee mit Rum leider meistens mit Kaltgetränken vorliebnehmen.

Klingt doch perfekt für einen Mann, oder?

Nur, dass Seppl eben kein Mann ist. Er ist mein Auto. Ein 22-jähriger, silberner, 105-PS-starker, spritzig-zwangsbeatmeter (TDI) VW Bora Kombi mit 165.000 km auf dem Buckel, um genau zu sein.

Ja, er ist schon etwas älter, aber eine „alte Kraxn“, wie ihn manche Mechaniker:innen nennen, ist es nun wirklich nicht. Er ist mein treuer Weggefährte und am liebsten würde ich ihn niemals tauschen. Seppl musste leider schon einige Reparaturen über sich ergehen lassen, aber er erholt sich immer wieder. Ein Mechaniker schätzte, dass er „so um die 2000 Euro wert“ sei. Mein Lebensgefährte meint, dass das übertrieben freundlich von ihm war. Tz.

Laut einem Experten wird wohl beim nächsten „Pickerl“ der Zahnriemen fällig werden. Autsch, der Preis tut weh. Quasi eine Herz-Operation für das Auto. Kosten-Nutzen-Rechnung sollte man eigentlich keine machen.

Ja, vermutlich ist das nicht das letzte Mal, dass ich für ihn tief in die Tasche greifen müsste und es gibt keine Garantie darauf, dass er noch jahrelang durchhält. Eine Neuanschaffung wäre vermutlich sinnvoller. Aber was, wenn er es eben doch noch viele Jahre lang schafft?

Was sind meine Alternativen?

Ich werde keine Markennamen nennen, aber es würde wohl ein recht günstiger Neuwagen werden.

  • Nicht einmal die Hälfte des Stauraums, den Seppl vorweisen kann.
  • Elektrische Fensterheber mit Aufpreis.
  • Akustisches Warnsignal zum Einparken mit Aufpreis.
  • Anhängekupplung mit Aufpreis.
  • Sogar Fußmatten nur mit Aufpreis.

Gepäckraumabdeckung, beleuchteter Kosmetikspiegel mit verschiebbarer Abdeckung für Fahrer und Beifahrer, Mittelarmlehne vorne mit Staufach, Lederlenkrad, Außenspiegel in Wagenfarbe, elektrisch verstellbar und umklappbar, abblendbarer Innenrückspiegel, beheizbare Heckscheibe und Heckscheibenwischer, Dachreling, asymmetrisch umklappbare Rücksitzlehne, manuelle Klimaanlage mit Pollenfilter, drei höhenverstellbare Kopfstützen hinten – manches davon nur mit Aufpreis.

Das alles hat mein Schatz doch! Sogar Klimaautomatik und eine Mittelarmlehne mit Staufach hinten.

Was hat ein „Neuer“ zu bieten?

  • Ich bin es gewohnt, ordentlich in die Eisen zu steigen. Die neuen Autos mit ihren „Nur-ganz-vorsichtig-mit-der-Zehenspitze-antippen“-Bremsen sind der Horror. Ich habe es ausprobiert und mich hat es – gefühlt – fast überschlagen.
  • Front- und Heckschürze: Damit man schön aufsitzt an der nächsten kleinen Kante. Kleines Eck – Schürze weg.
  • Funkschlüssel: Damit das Auto dann verrückt spielt, wenn man sich zufällig auf diesen Schlüssel setzt.
  • Fernlichtassistent: Schaffe ich auch ohne Assistenten, denn verblüffenderweise gibt es einen Hebel dafür.
  • Verbrauchte Kraftstoffmenge: Das sehe ich beim Tanken.
  • Durchschnittsverbrauch: Ich war in der Schule, das lässt sich gut selbst berechnen.
  • Gurtwarner: Gurtpflicht gibt es schon seit 1976, das sollte selbstverständlich sein.
  • Emergency call (E-call): Ja, viel Spaß, falls ich da versehentlich drankomme.
  • Toter-Winkel-Warner: In der Fahrschule habe ich „3S“ gelernt. (Rück-)Spiegel, (Seiten-)Spiegel, Schulterblick. Dadurch sollten tote Winkel eigentlich sichtbar sein. Hat bis jetzt sehr gut funktioniert.
  • Elektrische Parkbremse: Handbremse. Serienmäßig damals.
  • Tempomat mit Geschwindigkeitsbegrenzer: Dazu gibt es eine ganz tolle Anzeige direkt vor mir, wofür habe ich denn Augen? Wenn ich zu schnell bin, gibt es einen super Trick. Nennt sich umgangssprachlich „Fuß vom Gas!“.
  • Regensensor: Das sehe ich. Regentropfen an der Scheibe? Na, dann wird es wohl Zeit sein, den Scheibenwischer zu betätigen.
  • Reifenreparatur-Kit: Wenn da diese blöden Reifendruck-Sensoren dran sind, kann ich ja nicht einmal ein Rad wechseln. Soll ich den Reifen dann von außen reparieren mit Superkleber?
  • Chromakzente: Ach, bitte… das klingt schon ein bisschen „proletig“.
  • Jahrelanges Kartenupdate: Wofür habe ich denn ein Handy und eine Halterung dazu? Früher gab es gedruckte Straßenkarten und auch mit denen kam ich schon zurecht.
  • Automatische Verriegelung der Türen während der Fahrt: Überlegen wir mal. Wann ist es sinnvoll, die Türen zu verriegeln? Wann würde mich ein Dieb möglicherweise überfallen? Während der Fahrt mit 130 km/h oder wenn das Auto steht? Nein, natürlich geht es hier um eine Carjacking-Prävention, aber auch hierfür habe ich einen Schalter an der Fahrertür.
  • Ambient-Beleuchtung: Ich bin in keiner Bar.
  • LED-Lichtsignatur: Ja, ganz wichtig. Wie könnte man ohne so etwas auskommen? Da wäre das Bat-Signal noch sinnvoller.

Wenn ich mir ansehe, wie viele für mich selbstverständliche Dinge nicht einmal serienmäßig in einem Neuwagen stecken, dann muss ich mich fragen:

Was für ein Mords-Auto muss Seppl 2001 gewesen sein?

Und er ist es heute noch. Und wird es bleiben.

Der Neuwagen-Kauf wird somit wohl noch warten können, ich gebe Seppl einen Vertrauensvorschuss.

Gemeinsame Fahrt in die Zukunft
Gemeinsame Fahrt in die Zukunft © Envato Elements

Oder sollte ich das doch nicht tun? Hilfe!

– E. Grosser

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